F. Chopin
Etude A minor, op. 25/11
2009

Braunwald gerät «aus den Fugen»

August 2017


Mit Alain Claude Sulzer und Oliver Schnyder gestalten ein Autor und ein Pianist zusammen die Eröffnung der Musikwoche Braunwald. Dass die beiden befreundet sind, hat mit Sulzers Buch «Aus den Fugen» zu tun. Dass sie sich an ein fast unspielbares Beethoven-Stück wagen, verspricht einen speziellen Abend.

Kennengelernt haben sie sich 2012 über Alain Claude Sulzers Roman «Aus den Fugen» im Erscheinungsjahr des Buches: Pianist Oliver Schnyder,ein leidenschaftlicher Leser, hat sich durch eine Rezension angesprochen gefühlt, las das Buch und war begeistert. Heute sind Sulzer und Schnyder befreundet, pflegen einen intensiven Austausch per Mail. Aufgetreten sind sie auch schon zusammen mit Musik und Lesung. Eine Premiere wird jedoch in Braunwald sein, dass Schnyder mit der Hammerklaviersonate von Beethoven konzertiert – einst als unspielbar, heute von vielen als Mount Everest der Klavierliteratur bezeichnet. Diese Sonate erweist sich in Sulzers Roman als Brechungspunkt der Hauptsowie zahlreicher Nebenhandlungen: Während eines Konzerts in der Berliner Philharmonie hält der Protagonist, Starpianist Olsberg, während der berühmten Fuge (dem Schlusssatz der Sonate) inne und schliesst für immer den Klavierdeckel mit den Worten: «Das wars!» «Perfekt komponiert» («Frankfurter Allgemeine Zeitung») wie ein Musikstück entfaltet der Roman ein Panoptikum von Lebensgeschichten, die durch diesen Konzertabend aus ihrer Bahn geworfen werden.

Oliver Schnyder, Alain Claude Sulzer, der Titel des Buchs «Aus den Fugen» ist auch das Motto der Eröffnung vom 2.September und der gesamten Musikwoche in Braunwald. Wie kam das zusammen?

OLIVER SCHNYDER: Mit dem Thema kam der musikalische Leiter, Michael Eidenbenz, vor etwa eineinhalb Jahren zu mir und hat da offene Türen eingerannt. Er wünschte, dass ich Beethovens Hammerklaviersonate spiele. Diese Herausforderung hat mich gefreut, ich sagte unter dem Vorbehalt zu, dass ich mir diese Sonate erst erarbeiten müsse.

ALAIN CLAUDE SULZER: Unabhängig davon erhielt ich vom Präsidenten der Musikwoche, Hans Brupbacher,die Anfrage, aus meinem Roman «Aus den Fugen» zu lesen. Dass ich so mit Oliver zusammen eine Veranstaltung in Braunwald gestalten kann, war eine schöne Überraschung.

Wie werden Sie die Lesung und das Konzert aufbereiten? SULZER: Die Musik muss als Ganzes erklingen, sie füllt den zweiten Teil aus, die Lesung den ersten.Wir haben noch nicht im Detail alles festgelegt, aber ich werde nebst Passagen aus dem Roman auch aus meinen Texten zum Thema Klavier etwas lesen. Vielleicht sind auch ein paar Bemerkungen am Anfang zur Musik erwünscht, Oliver?

SCHNYDER: Das könnte helfen. Am besten für mich hat sich jedoch bewährt – und so machen wir es auch in der von mir mitbegründeten Konzertreihe Piano-District in Baden – statt einer Einführung ein Après-Concert anzubieten, also Gelegenheit zum Austausch nachher. Das kann ich mir für Braunwald gut vorstellen, denn hier gehört die Begegnung zwischen Künstlern und Publikum zum Konzerterlebnis.

Die Hammerklaviersonate ist so ziemlich das anspruchsvollste Werk seiner Gattung und so komplex, dass zum Beispiel der Pianist von Bülow es zweimal hintereinander im Konzert spielte, damit man mehr vom Inhalt mitbekam.Wie möchten Sie das Werk vermitteln?

SCHNYDER: Mein Traum wäre, ich könnte dem Publikum alles vermitteln, was auch mich an diesem Werk bewegt. Es sozusagen auf dem Silbertablett servieren. Mir ist aber bewusst, dass es manchmal Worte als Hörhilfen braucht, zum Beispiel auf einem Beiblatt. Ich selber erarbeite mir das Werk mit Üben, aber auch mit dem Lesen der Partitur, sie liegt oft auf dem Nachttisch. Ich mache mir Notizen, lese Literatur dazu, höre auch Aufnahmen. Es ist für mich ein Glück und ein Privileg, es zu spielen. Diese Musik ist ein Wunder: Beethoven hat sie geschrieben, als er völlig ertaubt war. Er prophezeite, man werde 50Jahre lang nichts damit anzufangen wissen und sie erst nach seinem Tod spielen.

«Mein Traum wäre,
ich könnte alles vermitteln,
was auch mich
an diesem Werk bewegt.»

Oliver Schynder


SULZER:
Er hat es selbst nicht aufgeführt?

SCHNYDER: Franz Liszt spielte die Uraufführung. Und auch heute noch sagen manche Pianisten, sie würden es nicht spielen können. Das war auch meine erste Erfahrung mit einer Aufnahme, die mir mein Vater zu hören gab. Er sagte: Das gilt als unspielbar. Das hat mich «gwundrig» gemacht.

Alain Claude Sulzer, welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben und Ihrem Schaffen?

Ich höre viel Musik, gehe gerne ins Konzert, schreibe im Zusammenhang mit Musik. Früher habe ich Querflöte gespielt, aber aufgehört. Das Klavier ist das Grösste für mich, faszinierend, was man da allein spielen kann. In meinen Romanen ist das Thema Musik vor allem in «Aus den Fugen» präsent, etwas auch in «Postskriptum» und natürlich in «Annas Maske». (Anmerkung der Redaktion: Ein Opernstoff, aus dem Komponist David Philip Hefti die gleichnamige Oper schrieb).

Mussten Sie viel recherchieren für den Roman? Über die Musikwelt, über Berlin, wo das Ganze spielt?

Was die Berliner Philharmonie angeht: Da hatte ich gute Informanten, und zwei Pianisten haben mir beim Fachlichen geholfen. Ansonsten konnte ich mir viel zurechtlegen. Ich bekam zwar ein Werkstipendium für Berlin, aber da war ich schon fast fertig mit dem Buch. Gelebt hatte ich ja schon vorher immer mal wieder dort. Für das Setting des Romans fand ich den Ort ideal.

Hatte Ihr Buch Auswirkungen auf die Musikwelt?

Ja, tatsächlich. Nebst Rückmeldungen von Musikern – wie Oliver – wurde ich angefragt, Texte über Musik zu schreiben, etwa in den Programmheften des Sinfonieorchesters Basel, in CD-Booklets oder für Zeitungen wie die «Weltwoche». Ich schreibe jedoch nicht als Kritiker, sondern als Zuhörer.

Oliver Schnyder, wenn Alain Sulzer im Buch die Welt eines Piano-Stars beschreibt, der wie in einer Blase lebt: Erkennen Sie sich, ihre Welt, dort wieder?

Ja, das ist erstaunlich realistisch, fast in allem. Nur, dass der Protagonist nach dem abgebrochenen Konzert unter die Leute ein Bier trinken geht, das ist für mich eine undenkbare Reaktion. Ich stelle mir vor, ich würde dann ganz für mich allein sein wollen.

Die Einsamkeit des Solisten vor dem Konzert: Ist das ein Klischee oder auch Ihre Erfahrung?

Das kenne ich. Man muss sich separieren, kann und will sich nicht von Gesellschaft ablenken lassen, und seien es noch so gute Freunde. Ich kann nicht laut lachen am Konzerttag, sonst nimmt es mir Energie. Man muss allein durch das Ganze, man fühlt sich nicht gut, mag nicht essen oder trinken, muss aber etwas zu sich nehmen, lebt nur aufs Konzert hin und hat zugleich Fluchtgedanken.

Ist Musik immer noch Leidenschaft, ein Job, oder etwas von beidem?

SCHNYDER: Mein Beruf, auch wenn er Alltag beinhaltet, ist immer noch sehr interessant. Ich vertiefe mich mit Leidenschaft in immer neue Werke oder nehme sie mir neu vor. Liszt muss ich nach einer Zeit mal wieder auf die Seite legen, Beethoven aber geht immer.

Und wie gehen Sie beim Schreiben vor, Herr Sulzer? Nach Plan oder eher spontan?

Ich gebe zwar durchschnittlich alle zwei Jahre ein neues Buch heraus, aber ich mache mir selber keine Vorgaben. Bei mir läuft alles spontan, und das hat sich bewährt. Ich lasse mich auch immer wieder auf neue Themen ein; für manche muss ich mehr recherchieren, für andere weniger. So stimmt es für mich und bleibt interessant.

Welche neuen Bücher sind zu erwarten?

Im September ist Buchpremiere von «Die Jugend ist ein fremdes Land». Die beiden folgenden sind auch schon am Entstehen. Ich stecke da noch ein bisschen fest, aber es ist ein guter Stoff. Mehr verrate ich nicht.

Freuen Sie sich auf Braunwald?

SULZER: In Glarus habe ich schon gelesen, Braunwald kenne ich noch nicht. Ich mache gern Lesungen in Berghotels, vor allem im «Waldhaus» in Sils Maria. Die Atmosphäre gefällt mir, Musik und Lesung zusammen geht gut. Oft gibt es da sehr interessiertes Publikum.

SCHNYDER: Ich habe schon einige Konzerte in Braunwald gespielt, auch als «Artist in residente». Für mich ist dieses kleine Festival ein leuchtendes Beispiel: Die Musik steht ganz im Zentrum, und es ist es ein Ort der Begegnungen. Persönlich, vielfältig in der Vermittlung, engagiert und lebendig. Als Musiker und Mensch fühle ich mich dort wohl, und ich freue mich auch, diesmal meine Familie mitzubringen.


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